Respekt
Die fotografischen Rahmenbedingungen waren speziell. Im milden Licht unter dem Laubdach der alten Bäume wechselten die Grüntöne der halb verwilderten Parkbepflanzung mit jeder neuen Perspektive. Die repräsentativ gestalteten Grabmale einst bedeutender Familien und Persönlichkeiten aus der industriellen Blütezeit des Ruhrgebiets ließen sich effektvoll in Szene setzen. Ebenso die großen Grabanlagen zur Ehrung der Bergleute, die bei schweren Grubenunglücken umgekommen waren. Die Bergwerksgesellschaften hatten sie einst errichten lassen.
Diese Monumente der Schaffenskraft und der Pflichterfüllung zogen meine gesamte Aufmerksamkeit auf sich. Der weitläufig angelegte Ostfriedhof verwandelte sich in meiner Wahrnehmung in einen vielgleisigen Kopfbahnhof für zahllose Lebenswege. Ich sah in ihm keine Endstation mehr, sondern einen Umsteigeort aus einer individuellen Gegenwart ins Zeitlose und zugleich einen Ort des Respekts und des sanften Vergessens.
Mahnung
Einen schmerzlichen Kontrast zu den zahlreichen respektablen Monumenten des Ostfriedhofs bilden die Mahnmale des Leids einer späteren Zeit. Sie bezeugen den mörderischen Verrat an unschuldigen Menschen, begangen im banalen Alltag einer Epoche der Dunkelheit und der Barbarei.
Sie halten in uns das Bewusstsein dafür wach, dass Menschen immer wieder andere Menschen zerstören. Und sie stärken die Gewissheit, dass sich Menschen nicht gänzlich auslöschen lassen. Denn sie haben gelebt, und das bleibt.
Hier ist der Ostfriedhof ein Ort beklemmender Stille. Er löst Trauer aus und erzwingt ernsthaftes Besinnen.
Ergänzung Juli 2023:
Vom 23. April bis 14. Mai 2023 präsentierte ich zehn ausgewählte Drucke der Bildserie „Respekt & Mahnung“ im Projektraum der Anwohnerinitiative „KA!SERN“ des Dortmunder Kaiserviertels.
Die persönlichen Gespräche mit den Ausstellungsbesuchern haben mir die große Verbundenheit der Dortmunder mit ihrem Ostfriedhof vor Augen geführt. Zugleich erfuhr ich, dass ich bei meiner spontanen ersten Fotosession im Mai 2021 ein bedeutendes Areal des Ostfriedhofs nicht entdeckt hatte: die etwas abseits gelegenen historischen Grabstätten des jüdischen Bereichs des Friedhofs.
Nach Abschluss der Ausstellung in der Kaiserstraße widmete ich am 15. Mai 2023 den sonnigen Vormittag diesem jüdischen Teil der alten Parkanlage. Es war still und das Licht war mild. Die Aufnahmebedingungen glichen denen von 2021, so dass sich die ausgewählten neuen Fotografien jetzt harmonisch in die Bildserie „Respekt & Mahnung“ einfügen.
"Mein" Ostfriedhof ist nun vollständig.